· 

Mutter werden

Mutter werden ist manchmal schwer, Mutter sein jedoch noch mehr. Zugegeben, das Sprichwort geht normalerweise anders. Wer mich kennt, weiß, dass ich eine Meisterin darin bin, Sprichwörter völlig falsch einzusetzen oder ihnen mal ganz nebenbei meine eigene Note aufzudrücken. Aber für meinen heutigen Beitrag ist der provokante Titel tatsächlich pure Absicht.

Vor wenigen Tagen hat meine Kollegin mich angerufen und sich für das Baby-Geschenk aus dem Büro bedankt, das ich nach der Geburt ihres ersten Kindes im Namen einiger lieber Kolleginnen und Kollegen organisiert und wegen der andauernden Corona Pandemie in einem Paket auf die Reise zur frisch gebackenen Familie geschickt habe.

Seit März arbeiten wir alle überwiegend im Homeoffice und so gingen die Schwangerschaftsmonate mit den größten körperlichen Veränderungen der werdenden Mutter an uns Kollegen weitestgehend vorbei. War das winzige Bäuchlein doch im Frühjahr noch kaum wahrzunehmen. Und jetzt ist da ein kleiner Mensch. Ich habe mich sehr gefreut, gleich nach der Geburt zu hören, dass Mutter und Kind wohlauf sind und viel mehr habe ich mich über den Anruf Mitte der Woche gefreut. Wir konnten uns tatsächlich beide gerade ein wenig Zeit nehmen, uns in Ruhe zu unterhalten. Das haben wir lange nicht mehr gemacht.

Die Geburt war leider unter den strengen hygienischen Corona Auflagen keine sonderlich schöne Erfahrung für meine Kollegin. Die andauernde Krise stellt auch diesen wunderbaren Bereich des Lebens auf eine harte Bewährungsprobe. Trotz erschwerter Bedingungen während der Geburt hat letztlich aber ein gesundes Baby das Licht der Welt erblickt und meine Kollegin zu einer sehr glücklichen Mutter gemacht. Sie berichtet mir von ihrem bezaubernden kleinen Engel und darüber, wie überaus dankbar sie ist, denn sie weiß, dass es nicht selbstverständlich ist, dass Frauen ihres Alters (ich „schmunzele“ - sie ist fast ein Jahrzehnt jünger als ich) so problemlos schwanger werden und dann ein gesundes Kind zur Welt bringen. Und damit hat sie (leider) vollkommen recht.

Mutter werden ist manchmal nämlich wirklich sehr schwer. Ich kann das aus eigener Erfahrung bestätigen, denn bei meiner Familienplanung hat das Leben mir seinerzeit die bittersten Zitronen geschenkt. Was ich daraus gemacht habe? Inzwischen die süßeste Limonade. Doch bis dahin war es ein langer und steiniger Weg. Damals, während gefühlt endloser Hormonbehandlungen, die mit der Verdoppelung meines Körpergewichts einhergingen, musste ich insgesamt fünfmal Abschied von meinen kleinen „Sternchen“ nehmen. Was das mit der Seele einer Frau macht, kann ich bis heute nicht in Worte fassen, es reißt dir buchstäblich den Boden unter den Füßen weg. Es war eine sehr belastende Phase meines Lebens, während der ich sehr unter meiner ungewollten Kinderlosigkeit litt.

 

Irgendwann hatte ich mich dann von dem Gedanken verabschiedet, jemals Mutter zu werden und mich auf meine Karriere konzentriert. Dieser Lücken büßende Plan B erfüllte mich jedoch leider nicht im Geringsten also wurde ein Antrag auf Adoption (Plan C) gestellt. Danach verstrich die Zeit wie im Flug und ich gab letztlich dann doch die Hoffnung auf, stellte mich auf ein Leben ohne Kinder ein und verwirklichte mir mit Plan D den Traum eines eigenen kleinen Cafés. Das mit viel Herzblut und im französischen Stil von mir eingerichtete Café war mein Baby. Ich erschuf einen traumhaften Ort, an dem sich Menschen rundum wohlfühlten, allen voran, ich selbst. In dieser Lebensphase blühte ich auf und viele meiner lästigen Hormon-Pfunde purzelten plötzlich wie von alleine, trotz Butterkuchen und Café au Lait. Das Leben meinte es endlich wieder gut mit mir. 

Und während ich kaum hätte glücklicher sein können, kam eines Tages doch noch ein langersehnter aber schon längst unerwarteter Anruf vom Jugendamt. Zugegeben, der Zeitpunkt hätte wirklich günstiger sein können, aber das Leben ist nun mal kein Wunschkonzert. Kurz nach dem Gespräch mit dem Sozialarbeiter lernte ich meinen kleinen Schatz kennen. Ein magischer Moment, der für immer unvergessen bleibt. Alle Befürchtungen und Sorgen, die Chemie zwischen mir und dem Kleinen könnte eventuell nicht auf Anhieb stimmen, waren binnen Sekunden eliminiert. Es war Liebe auf den ersten Blick. Bereits eine Woche später zog dieser entzückende kleine Mensch in sein neues Zuhause ein und machte mich zu einer völlig überwältigten und vor Stolz strotzenden Pflegemutter. In einem Rausch der Gefühle musste auf die Schnelle mehr als nur ein "Nest" gebaut werden. Alle erforderlichen Anschaffungen, wofür Eltern sonst Monate lang Zeit haben, sollten nun binnen weniger Tage erledigt werden. Zum Glück konnten meine beiden jüngeren Schwestern, deren Kinder bereites aus dem Babyalter entwachsen waren, ad hoc mit Maxi Cosi, Bettchen, Wickeltisch und Kinderwagen aushelfen. Im Café wurden Aushilfen eingearbeitet und meinem Arbeitgeber, bei dem ich noch in Teilzeit angestellt war, verkündete ich die frohe Botschaft, in den nächsten Tagen eine längere Elternzeit anzutreten. Und so begann mein Leben mit Pflegekind. Ein neues Leben als Mama und ein neues Leben ohne Café, das ich schweren Herzens irgendwann verkaufen musste. 

Mutter werden war wirklich sehr schwer, aber Mutter zu sein, war es in der Tat noch mehr. Es lagen eine Menge kleiner und großer Herausforderungen vor uns. Die letzten Jahre waren nicht immer ein Spaziergang. Die anfängliche Magie und die sprichwörtliche Liebe auf den ersten Blick zu meinem Kind waren jedoch kein Trugschluss. Bis zum heutigen Tage haben wir eine sehr außergewöhnliche und innige Beziehung. Die vom Leben geschenkten Zitronen wurden am Ende doch noch zu einer köstlichen Limonade verarbeitet, deren Rezept seit über vierzehn Jahren regelmäßig verfeinert wird.

An mein Schatzekind: "Du bist ein ganz wunderbarer Mensch und ein sehr großes Geschenk. Ich bin glücklich, deine Mutter sein zu dürfen und sehr stolz auf dich. Du hast das Herz am rechten Fleck. Ich weiß, du wirst deinen Weg gehen, auf dem ich dich sehr gerne begleite. Ich liebe dich bis zum Mond und wieder zurück und bin immer für dich da. In unendlicher und bedingungsloser Liebe, deine Mama".