Gerne hätte ich diesen Beitrag mit „Alles darf und nichts muss“ begonnen. Ich möchte jedoch realistisch bleiben und keine falschen Hoffnungen wecken, die ein oder andere Verpflichtung im Leben ist nun mal doch ein Muss. Sicher hast du immer eine Wahl und kannst neu entscheiden. Du kannst bestimmte Dinge aufschieben oder sein lassen, weil sie dir nicht wichtig sind, aber am Ende des Tages siegt die gute Erziehung, die Vernunft, der eigene Anspruch oder die Erwartung von Familie und Arbeitgeber oder Kunden, wenn es um die Erfüllung bestimmter Aufgaben geht. Du lässt das Geschirr eben nicht Tage lang stehen, bis du deinen Joghurt mit dem Suppenlöffel verspeisen musst oder boykottierst ab sofort und bis in alle Ewigkeit die Zusammenarbeit mit deiner Waschmaschine. Über die Konsequenzen letzterer Maßnahme muss ich gar nicht groß nachdenken, also so sehr ich das Bekämpfen der blöden Schmutzwäsche Berge auch verachte, es führt in der Regel kein Weg daran vorbei. Es sei denn du kannst es delegieren.
Ende letzten Jahres hatte ich eine Zwangspause von einer Vielzahl meiner gewohnten Pflichten
und großartige Unterstützung durch meine Familie. Nach einer Operation in der Frauenklinik durfte ich nicht heben, mich nicht bücken oder strecken, der Haushalt war damit tabu und auf Sport
sollte ich ebenso verzichten. Der Arzt hat mich mit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dann auch noch im Job vier Wochen aus dem Verkehr gezogen. Es gab Zeiten, da habe ich mir genau das mal
für ein paar Tage gewünscht. Nichts tun zu müssen. Einfach nur sein und mich auf mich zu konzentrieren. Die OP war geplant und ich habe mir für meine Auszeit eine Menge „was ich schon immer mal
lernen, lesen, schreiben wollte“ vorgenommen. Für die vermeintliche Mußezeit wurden dann ein Dankbarkeitstagebuch, diverse Ratgeber zum Thema Achtsamkeit sowie herrlich kitschige Liebesromane
angeschafft. Ich habe eine Sprachlern-App auf meinem Tablet installiert und mir ein Buch mit Strickanleitungen für Anfänger und das nötige Zubehör besorgt, um wunderschöne, selbstgestrickte
Schals für Weihnachten zu kreieren. Die Aussicht, all das einmal ohne schlechtes Gewissen tun zu dürfen und das für mindestens einen Monat, gab mir Hoffnung und Zuversicht, nicht an der
Nichtstuerei zu verzweifeln. Das Dankbarkeitstagebuch war großartig und wurde wirklich fast täglich von mir ausgefüllt. Ein sehr gutes Instrument fürs Glücklich sein, wie ich finde. Am Ende
meiner Ruhezeit hatte ich dann aber gerade einmal kapiert, wie man Wolle auf eine Stricknadel auffädelt und maximal zwanzig neue Vokabel gelernt. Ich war für nichts so richtig zu begeistern und
habe extrem viel Zeit mit dem Konsum seichter Serien zugebracht. Und dennoch war es keine verschwendete Zeit, denn es war zu diesem Zeitpunkt eben genau das, was ich gerade gebraucht
habe.
Seit vielen Wochen erleben Menschen nun weltweit durch die Corona Pandemie eine ähnliche
Zwangspause. Und viele kreative Köpfe begeistern gerade das soziale Netzwerk mit diversen lustigen Ideen, aber auch mit genau dem, was ich mir letztes Jahr auch vorgenommen hatte „was ich schon
immer mal ...“ na du weißt schon, was ich damit meine. Dieses Mal habe ich mir zu Beginn der Ausgangssperre bewusst nichts vorgenommen. Ich habe mich sofort an mein Dankbarkeitstagebuch erinnert
und festgestellt, dass ich extrem glücklich über unsere Gesundheit, den großzügigen Platz, den wir als dreiköpfige Familie mit Zwergpudel in unserem alten Stadt-Haus haben, bin. Ich bin dankbar
für einen wunderschönen, paradiesischen Garten, der bei wirklich bestem Wetter seit Beginn der Krise meine Ruheoase und Zuflucht ist. Ich freue mich über die Möglichkeit, dass mein Mann und ich
beide ohne Existenzängste und finanzielle Einbußen unserer gewohnten Tätigkeit im Homeoffice nachkommen können. Es begeistert mich, wie gut unser vierzehnjähriges Pubertier mit den
Ausgangsbeschränkungen umzugehen versteht, wie brav und zufrieden dieser Teenager gerade ist und sich im digitalen Classroom im Rahmen seines Homeschooling so großartig zurecht findet. Ich bin
erleichtert, dass viele Erwartungen im Moment völlig irrelevant sind und ich in meiner Freizeit einfach sein kann wie ich möchte. Ob in Jogginghose, im bezaubernden Sommerkleidchen, ob geschminkt
oder natürlich, ich darf mich in meinem Revier gerade frei entfalten.
Und jetzt, wo alles darf und wenig muss, sprudele ich gerade über vor Energie und
Tatendrang. Ich habe mit dem Schreiben begonnen und den Mut gefasst, eine eigene Seite für meinen Blog Gedanken MUT einzurichten. Ich habe mit einem Lauftraining für Anfängerinnen begonnen und
bin selbst gerade so erstaunt über mein Durchhaltevermögen und den eisernen Willen, meinen Körper wieder in Bestform zu kriegen. Ich lese gerade all die wunderschönen Romane, die seit Monaten
unberührt mein Bücherregal bewohnen und ich probiere neue Rezepte aus, übe mich im Backen und habe sogar ein paar Masken zum Schutz vor dem Virus handgenäht. Ich erlaube es mir aber auch, mal
nichts zu tun. Zu relaxen, innezuhalten, wenn mir der Kopf danach steht. Und noch mehr erlaube ich mir auch mal einen Durchhänger zu haben. Diese besondere Zeit geht auch an der größten Frohnatur
nicht spurlos vorbei und auch das ist völlig in Ordnung, denn alles darf! Ich finde dann auch schnell wieder raus aus dem Jammertal und das Opferland ist ohnehin so gar nicht meine Welt, daher
sind das wirklich kurze Phasen, die zum Glück dann auch wieder vorüberziehen. Erlaube dir also einfach du zu sein, das steht dir ohnehin am allerbesten. Alles darf und wenig muss. In diesem
Sinne, ganz sonnige und herzliche Grüße, deine Nicole